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  • Tagungsbericht: SVI-Jahrestagung Lebensmittelverpackung der Zukunft 2023
SVI 30. März 2023 0 Comments

Nachhaltigkeit treibt Verpackungsentwicklung weiter voran

Nachhaltigkeit, Recycling und der Trend zu faserbasierten Packstoffen prägen die Branche auch im Verpackungsjahr 2023. Neu schwebt jedoch die Ende letzten Jahres in einem ersten Entwurf publizierte Revision der Verpackungs-Rahmenverordnung in der EU als Damoklesschwert über der Verpackungswirtschaft. So standen auch regulatorische Anforderungen in der Europäischen Union und der Schweiz im Zentrum der fünften SVI-Jahrestagung, die am 28. März in Zürich mit rund 90 Teilnehmenden stattfand. Im zweiten Teil der Tagung wurde das Potenzial und die nachhaltige Weiterentwicklung von Lebensmittelverpackungen in der Zukunft beleuchtet.

Neben der Revision der bisherigen Europäischen Verpackungsverordnung (Nr. 94/62/EG), zu der die EU-Kommission am 30. November 2022 einen Entwurf für eine neue Richtlinie veröffentlicht hat, arbeitet die EU bereits seit 2016 an einer Revision der Gesetzgebung zu Lebensmittel-Kontaktmaterialien. Am 18. Dezember 2020 wurde eine Roadmap auf Basis der EU-Kunststoff- und Chemiekalienstrategie verkündet. Über den aktuellen Stand dieser Diskussion informierte Rachida Semail von Keller and Heckman LLP in einer Live-Zuschaltung aus Brüssel. Ihr kurzes Fazit lautet: Die Revision der Gesetzgebung zu Lebensmittel-Kontaktmaterialien ist nach wie vor im Stadium der Diskussion. Nichts ist entschieden und nichts ist sicher. Es gibt zahlreiche Studien zu den verschiedenen Stoffkategorien bezüglich der Probleme mit Migration und Toxizität von Beschichtungen und Additiven bei Kunststoffen und papierbasierten Materialien, die in die neue Gesetzgebung einfliessen sollen. Hinzu kommen aktuell noch die Auswirkungen der Nachhaltigkeitsanforderungen und der Recyclingziele, die sich aus dem Entwurf für eine neue Europäische Verpackungsverordnung ergeben. Zwischen dem 5. Oktober 2022 und dem 11. Januar 2023 fand eine öffentliche Konsultation in der EU statt, bei der 610 Eingaben erfolgten. Trotz aller Aktivitäten wird die vollständige Umsetzung der neuen Richtlinie der EU für Lebensmittel-Kontaktmaterialien noch viel Zeit beanspruchen. Semail rechnet mit dem Start der konkreten Gesetzgebungsphase frühestens gegen Ende 2024, wahrscheinlich aber eher 2025 oder noch später.

André Gierke von epr compact referierte über den Entwurf der Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR) und die zukünftigen Anforderungen an Lebensmittelverpackungen und deren Hersteller in der EU. Die PPWR soll das Konzept der Kreislaufwirtschaft als Umsetzung des so genannten Green Deals realisieren. Ziel des Entwurfs sind weniger Verpackungsabfälle, eine funktionierende Kreislaufwirtschaft und ein Binnenmarkt ohne Grenzen auch für Verpackungen. Derzeit existiert eine heterogene Struktur in den Ländern bezüglich der Verpackungsgesetzgebung und teils wurden Markteintrittsbarrieren durch nationale Regelungen geschaffen, am stärksten in Frankreich. Neu an dem Verordnungsentwurf ist, dass nun grundsätzlich alle Verpackungen erfasst werden. Die Verpackungsdefinition wird jetzt um E-Commerce-Verpackungen ergänzt, Versandverpackungen bekommen den Status einer Primärverpackung. Auch Kaffeekapseln und Teebeutel werden künftig als Verpackungen definiert. Klebesticker auf einer Banane machen die Bananenschale künftig zu einer Verpackung. Einwegverpackungen und Schrumpffolien für Obst und Gemüse unter 1,5 kg sollen verboten werden, ebenso Mini-Verpackungen für Privathaushalte (beispielsweise Shampoo) oder in der Gastronomie (Essig & Öl) sollen verboten werden. EU-weit harmonisiert werden sollen sämtliche Anforderungen an Verpackungen: Konformität, korrekte Kennzeichnung, fachmännische Dokumentation, möglichst hoher Rezyklatanteil, Recyclingfähigkeit, Stoffbeschränkungen, industrielle Kompostierbarkeit, Minimierung bei Gewicht und Volumen sowie Aspekte wie Wiederverwendung, Mehrweg, Refill und Pfandlösungen. Ab 2030 soll das Recycling an Leistungsstufen orientiert werden: je schlechter, desto höher die Gebühren, bis hin zu einem Verbot. Bis 2040 soll ein Stufenplan den Rezyklatanteil stetig erhöhen. Zudem soll auch die Erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) harmonisiert werden. Gierke erwartet, dass die PPWR im ersten Halbjahr 2024, noch vor der Neuwahl des EU-Parlaments, verabschiedet werden soll. Sein Fazit: Harmonisierung, Kennzeichnung, Vollziehbarkeit und Abfallvermeidung sind die positiven Aspekte des Entwurfs. Negativ zu Buche schlagen ein immenser Aufwand für Verpackungshersteller und -verwender, teils unklare Definitionen, eine unklare Verfügbarkeit von Rezyklaten, teils extreme Mehrwegziele und eine generelle verpackungsfeindliche Verbotskultur.

Einblicke in die Arbeit aus Beratungstätigkeit und dem Research über Konsumenten und regulatorische Trends bei Verpackungen gaben Markus Pley und Felix Grünewald von McKinsey & Company. Sie stellten zunächst die globalen Trends wie Nachhaltigkeit, E-Commerce und Digitalisierung vor. Nachhaltigkeitstreiber sind grösstenteils die Konsumenten, obwohl sie nicht wirklich verstehen, was nachhaltig ist und was nicht. Quasi im Konsumentenauftrag treibt auch der Detailhandel voran und setzt vor allem auf Papierverpackungen. Das sei nicht immer nachhaltig, aber es genüge, wenn die Konsumenten dies glaubten. Dementsprechend fiel auch eine Konsumentenstudie von McKinsey aus: Papier, Glas und kompostierbare Materialien sind Top, Kunststoffe sind Flop, auch wenn sie komplett rezyklierbar sind. Auch Kunststoffverpackungen aus rezykliertem Material werden negativ wahrgenommen. Als nachhaltigstes Material benennen die Konsumenten Glas. Aber sind die Konsumenten wirklich bereit, für nachhaltige Verpackungen mehr zu bezahlen? Zwar behaupten dies rund 40 Prozent von sich, aber nur 10 Prozent der Konsumenten setzen dies auch um. Ein Studienergebnis war auch, dass als nachhaltig beworbene Produkte stärker gewachsen sind als andere Produktgruppen. Allerdings kann dies nicht nur auf die Verpackung bezogen werden: Ein Produkt wird als Ganzes und die Verpackung nur zusammen mit der Marke wahrgenommen. Anschliessend erfolgte eine Betrachtung von Verpackungsvorschriften weltweit. Die Schweiz ist dabei ein Sonderfall: Es gibt keine umfassende Verpackungsverordnung (nur punktuelle Konzepte), aber dennoch ein sehr hoher Recyclinganteil. Weltweit sind die Regulierungen extrem komplex und jedes Land muss separat angeschaut werden. Für die neue EU-Verordnung sagten die Referenten voraus, dass die Verfügbarkeit von Rezyklaten eine grosse Challenge werden wird, da nicht genügend Material verfügbar sei. Ohne das nicht unumstrittene chemische Recycling werden die Rezyklat-Mengenziele nicht zu erreichen sein. Bis 2030 andere Systeme zu etablieren, sei ohnehin sehr ambitioniert.

Eine Schweizer-Deutsche Sicht auf das Verpackungsrecycling gab Jonathan Scheck von Interseroh aus Deutschland. Wichtig für eine hohe Recyclingquote sind die Aufklärung der Konsumenten und die notwendigen technischen Anlagen. Auch ein auf das Recycling ausgelegtes Verpackungsdesign verbessert die Verwertungsqualität. Dazu wurde in der Schweiz die «Allianz for Design Recycling Plastics» unter dem Dach der Drehscheibe Kreislaufwirtschaft gegründet. Grundsätzlich sei es schon für das Design wichtig zu wissen, wie das Wertstoffrecyclingsystem aufgebaut ist: Wie funktionieren Sammlung, Sortierung und Verwertung? Scheck erläuterte dies zunächst für die deutsche und danach für die Schweizer Abfallwirtschaft. Kantone und Gemeinden haben dabei deutlich mehr Autonomie als in Deutschland. Zudem gibt es viel mehr direkte Rückgabemöglichkeiten beim Detailhandel. Demgegenüber werden Kunststoffe in Schweizer Haushalten alle im Kehrichtsack entsorgt (und gehen damit in die Verbrennung), während in Deutschland Kunststoffe in Wertstofftonnen oder im Gelben Sack gesammelt werden. Insofern gehen in der Schweiz manche Fraktionen ohne Sortierung direkt in die thermische Verwertung. Aber was ist besser: getrennte Sammlungen oder gemischte Sammlungen mit anschliessender Sortierung? Eine Studie aus Norwegen zeigt: Bei gemischter Wertstoffsammlung wird der meiste Kunststoff wieder eingesammelt und kann nach der Sortierung verwertet werden. Schecks Fazit: Je geringer die Hürden für die Konsumenten sind, desto mehr Material wird gesammelt. Je stärker die Sammlung getrennt erfolgt, desto höher sind die Fehlwürfe und desto höher ist der Anteil, der in den Restmüll geht.

Sind Verpackungen aus Papier die nachhaltigste Lösung, fragte Dr. Antje Harling von der Papiertechnischen Stiftung PTS aus Deutschland? Grundsätzlich ist derzeit eine Entwicklung auf dem Verpackungsmarkt sichtbar, bei der Kunststoff- durch Papierverpackungen ersetzt werden. Hierbei müssen jedoch die Anforderungen an die Packgüter beachtet werden. Längst nicht alle Verpackungen lassen sich aus Papier realisieren. Auch nicht alle Papierverpackungen sind wirklich nachhaltig. Dazu gibt es zahlreiche Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen, weitgehend abhängig vom jeweiligen Auftraggeber der Studie. Harling beleuchtete, welche Faktoren hier wirklich relevant sind. Bezüglich Langlebigkeit, Wiederverwendbarkeit und Reparierbarkeit hat Papier durchaus Nachteile. Zudem sollte Papier in der Sammlung möglichst sauber sein. Papier mit Produktanhaftungen ist schwer zu reinigen und erfolgreich zu rezyklieren. Papier ist nicht unbegrenzt verfügbar, denn nicht alle Papierfabriken können Verpackungs- und Spezialpapiere herstellen und beherrschen den komplizierten Deinking-Prozess. Papier aus Recyclingware muss so gut verarbeitet sein, dass die Papiermaschine nicht still steht. Ein Stillstand der Papiermaschine wirkt sich finanziell sofort katastrophal aus. Abschliessend bemerkte Harling noch, dass die derzeit bestehenden Regularien auch im Papierbereich innovative Lösungen nicht gerade begünstigen.

Dr. Peter Braun von Swiss Food Research verortete die Verpackung in einem zukunftsorientierten Ernährungssystem. Dazu stellte er zunächst das Ideennetzwerk Swiss Food Research vor. Da Verpackung ein extrem segmentierter Bereich sei, sind gute Lösungen praktisch nur durch Kooperation und Zusammenbringen verschiedener Kompetenzen möglich, stellte er fest. Recycling ja, aber wie? Die verwendeten Materialien haben sich in vielen Jahren Verpackungsentwicklung immer weiter kompliziert und sollen sich jetzt im Rahmen der Zirkularitätsanforderungen wieder massiv vereinfachen. Im Grunde handelt es sich dabei um einen technologischen Rückschritt. Neue Alternativprodukte werden beispielsweise bezüglich Barrieren niemals die gleichen Eigenschaften haben wie die Ausgangsverpackungen. Ungewünschte Migration ist das grösste Problem bei praktisch allen Alternativprodukten. Insofern haben viele äussere Treiber Einfluss darauf, welche Produkte künftig hergestellt werden. Neue Lösungen müssen vom Anfang bis zum Ende der Prozesskette auf allen Ebenen weniger Ressourcen verbrauchen. Dazu müssen alle Industrien mit anpacken: Lebensmittel, Verpackung und Logistik sowie auch die Konsumenten. Braun sprach sich auch dafür aus, bei vielen Produkten die Mindesthaltbarkeitsangaben zu verlängern oder ganz abzuschaffen, weil in der Schweiz die Produkte sowieso immer frisch seien. In der Schweiz seien aufgrund der Kleinräumigkeit auch andere Lösungen möglich, im Gegensatz zu grossen Flächenländern. Er forderte dazu auf, auch immer wieder in neue Richtungen zu denken.

Aktuelle Trends und Entwicklungen zur Zukunft der Verpackungsindustrie steuerte Thomas Hirnschall von Horváth & Partners Management Consulting GmbH mit einem Blick aus Österreich bei. Die Verpackungsbranche ist insgesamt sehr kleinteilig und der Verpackungsmarkt ist hart umkämpft. Die Unternehmen müssen immer wettbewerbsfähig sein und bleiben. Hirnschall erwartet, dass die Materialkompetenz in der künftigen Entwicklung von Verpackungen ein Schlüsselfaktor werden wird. Verpackungshersteller sind oft hoch spezialisiert und die Digitalisierung hält immer mehr Einzug in die Branche. Im Gegensatz zu früheren Erwartungen ist Smart Packaging zwar ein profitabler Markt, wird aber ein Nischenmarkt bleiben. Beim Trend zur Nachhaltigkeit sieht er die Zirkularitätsanforderung als ein Problem: Es gibt nicht genügend Rohstoffe beim Recyclingmaterial in allen Bereichen. Der Papier- und Kartonverbrauch ist insgesamt rückläufig, aber die Nachfrage nach rezykliertem Fasermaterial steigt ständig: So öffnet sich die Schere immer mehr, weil auch die Importe von Recyclingmaterial abnehmen, da die anderen Länder ihre Altstoffe selbst benötigen. Der Trend von Kunststoff zum Papier verschärft die Herausforderung, Material zu beschaffen, noch zusätzlich. Innerhalb der Papiersparte gehen die Trends zu Recyclingpapier sowie von weissem zu braunem Papier. Viele Unternehmen haben sich zur CO2-Reduktion verpflichtet, aber es wird interessant sein, zu sehen, welche Technologien sowohl beim Material als auch bei der Energie dafür eingesetzt werden. Hirnschall erwartet auch eine weitere Marktkonsolidierung: Verpackungsunternehmen wachsen immer mehr und werden durch Fusionen immer grösser. Gleichzeitig werden Papierunternehmen zu Verpackungsunternehmen und Handelsunternehmen zu Recyclern.

Out of the Box: Visionen für die Zukunft des Verpackens und für Verpackungen präsentierte Henning Schmidt, Geschäftsführer honeypot Taste GmbH aus Deutschland. «Verpackungen sind eine enorme Kulturleistung und Verpackungen stehen enorm unter Druck» konstatierte er zu Beginn. Bei Verpackungen gibt es keinen Königsweg: Jedes Produkt muss separat betrachtet werden. «Richtig nachhaltige Verpackungen bekommen wir bisher nicht wirklich hin, aber wir müssen uns auf den Weg machen und stehen vor extremen Herausforderungen: Von hygienebedingt gewünschter Überverpackung in der Corona-Krise glitten wir nahtlos in die derzeitige Ressourcenkrise. Hinzu kommt die allgegenwärtige Klimakrise, von Corona und Ukraine nur kurzfristig überlagert. Aber Krisen sind immer auch Innovationsbooster», sagte Schmidt. Nachhaltigkeit sei ein Konsumtrend geworden und damit zu einem Wirtschaftsfaktor. Aber Nachhaltigkeit ist ein unklarer Begriff sowie teils auch Greenwashing und Nachhaltigkeit ist oft wichtiger als die Marke. Zudem wollen die Konsumenten für mehr Nachhaltigkeit nicht mehr bezahlen, zumindest liegt die Schmerzgrenze in Deutschland bei höchstens 10 Prozent. Und es gibt einen Gegentrend: To-go-Verpackungen sind ein immer beliebter werdendes Kundenbedürfnis, aber selten nachhaltig. Im Ergebnis werden überall Monomaterialien, Hybridverpackungen und Alternativverpackungen aus Gras, Algen, Palmenblätter Maisstärke, usw. getestet sowie mit Mehrwegsystemen experimentiert: Re-cup, Loop, Konservengläser mit Pfand, Wein in Bierflaschen und bei Versandverpackungen. Smarte Verpackungen haben sich insgesamt nicht durchgesetzt. Aktive Verpackungen sind zu 80 Prozent im Markt gescheitert und dürften jetzt vor allem wegen ihrer hohen Preise wieder verschwinden. Papier dagegen sei zu einem psychologischen Marketingtool geworden. Schmidt stellte auch Veränderungen im Verpackungsdesign fest: Produkte werden heute auf dem Smartphone gekauft, wo kleine Schrift und Logos nicht mehr gelesen werden können. Schriften und Logos werden vom Supermarktregal dem Handy-Display angepasst und damit grösser. Fazit: Die Zukunft der Verpackung ist heterogen und unübersichtlich, Optimierungsprozesse sind immer möglich und werden kein finales Ende haben.

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